Ausstellung im LWL-Museum Zeche Zollern beleuchtet Westfalens koloniales Erbe

Ausstellung im LWL-Museum Zeche Zollern beleuchtet Westfalens koloniales Erbe

„Das ist kolonial.“

Nicht nur Hamburg oder Berlin, auch Westfalen hat viele Berührungspunkte mit dem Kolonialismus. Eine neue Ausstellung im LWL-Museum Zeche Zollern in Dortmund widmet sich unter dem Titel „Das ist kolonial. Westfalens (un)sichtbares Erbe“ der Geschichte, den Spuren und Folgen des Kolonialismus bis in die Gegenwart.

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) präsentiert die Ausstellung ab 14. Juni (bis Oktober 2025) in seinem Dortmunder Museum. Über 250 Exponate, eine interaktive Karte der Erinnerungsorte, 30 Hörstationen, künstlerische Interventionen und ein umfangreiches Angebot an Führungen laden auf 600 Quadratmetern zur Auseinandersetzung mit Westfalens kolonialem Erbe ein.

Die Ausstellung ist das zentrale Projekt im Themenjahr „POWR! (Post)koloniales Westfalen-Lippe“ der LWL-Kulturstiftung. „Unser gemeinsames Ziel ist es, die Spuren des Kolonialismus und seine Folgen für unsere heutige Gesellschaft in der Region aufzuzeigen und dieses bisher wenig beachtete Thema aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten“, erklärte der Direktor des LWL, Dr. Georg Lunemann, am Dienstag (11.6.) bei der Vorstellung der Ausstellung in Dortmund.

„Obwohl es seit 1919 keine deutschen Kolonien mehr gibt, ist der Kolonialismus keine abgeschlossene Epoche. Nicht nur die Beziehungen zwischen dem globalen Norden und globalen Süden sind bis heute fundamental geprägt von einer gemeinsamen kolonialen Vergangenheit. Auch rassistische Vorstellungen wurden durch den Kolonialismus geprägt und verstärkt“, so Lunemann weiter.

Mit der Besetzung von Gebieten in Afrika, China und der Südsee eignete sich das Deutsche Reich ab 1884 den Zugang zu Rohstoffen an und zwang Menschen aus indigenen Bevölkerungsgruppen zur Arbeit in den Kolonien. Auch in Westfalen war der Kolonialismus in jener Zeit allgegenwärtig: Menschen zogen als Missionsangehörige, Farmer und Farmersfrauen oder Soldaten in die Kolonien. Unternehmer und Industrielle trieben die deutsche Kolonialpolitik voran, Kaufleute handelten mit Waren wie Kaffee und Tee. Bürgerinnen und Bürger engagierten sich in Kolonial- und Missionsvereinen, gingen zu sogenannten Völkerschauen, spendeten für Denkmäler oder benannten Straßen nach kolonialen Akteuren. Für all diese Felder zeigt die Ausstellung Beispiele und thematisiert die Kontinuitäten sowie aktuelle Debatten um die Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit.

Dr. Anne Kugler-Mühlhofer, Dr. Georg Lunemann, und Zola Wiegand M’Pembele an der Medienstation im Zentrum der Ausstellung. Auf drei Bildschirmen können Besucherinnen und Besucher über eine digitale Karte 90 Orte mit kolonialen Bezügen in Westfalen abrufen.
Foto: LWL / Julia Gehrmann

Die Ausstellung baut auf Kooperationen und Ergebnissen einer partizipativen Werkstatt aus dem Jahr 2023 auf. „Diese Werkstatt war Arbeits- und Lernort, Begegnungsraum und Ausstellungsfläche zugleich. Sie eröffnete Räume zum Mitdenken, Mitgestalten, Diskutieren und zur Teilhabe. Eines der Hauptziele unserer Werkstatt war es, Perspektiven von Schwarzen Menschen und People of Color (BPoC) zu gewinnen, die bisher in der musealen Auseinandersetzung mit der Regionalgeschichte unterrepräsentiert sind“, erklärte Projektleiterin Dr. Anne Kugler-Mühlhofer, Leiterin des LWL-Museums Zeche Zollern. Deswegen haben zahlreiche Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartner künstlerische Beiträge für die aktuelle Ausstellung erarbeitet, ihre Perspektiven in Interviews eingebracht und sich an der Erarbeitung von Vermittlungsformaten beteiligt.

Für Schülerinnen und Schüler sowie Kinder und Familien gibt es besondere Führungen sowie ein Begleitheft, das die Inhalte kindgerecht erklärt. „Beim Thema Kolonialismus und Rassismus ist es wichtig, gerade junge Menschen anzusprechen und zu sensibilisieren. Denn nur, wenn wir Geschichte verstehen, können wir die Zukunft neu gestalten“, erklärte Zola Wiegand M’Pembele, die gemeinsam mit Phyllis Quartey und Kuratorin Julia Bursa das Begleitheft entwickelt hat und Führungen in der Ausstellung leitet. Unterstützt und kritisch begleitet wurde das gesamte Projekt von „Critical Minds“, einem Beratergremium mit Akteur:innen aus gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Kontexten.

Die Ausstellung
Die Ausstellung im historischen Werkstattgebäude der ehemaligen Zeche beschäftigt sich mit Aspekten aus vier Themenbereichen: wirtschaftliche Verflechtungen, Menschen aus Westfalen, die in den Kolonien agierten, Kolonialismus im Alltag sowie Widerstand, Kolonialkriege und Erinnerungskultur. Ein Dreiklang aus historischen Bezügen, künstlerischen Interventionen und Interviews, erarbeitet und koordiniert von den drei Kuratorinnen Dr. Barbara Frey, Julia Bursa und Katarzyna Nogueira, soll unterschiedliche Perspektiven eröffnen.

Im Eingangsbereich stimmen Videointerviews die Besuchenden auf das Thema der Ausstellung ein. Unter der Fragestellung „Was hat Kolonialismus mit mir zu tun?“ schildern neun Personen aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen ihre Sicht auf Kolonialismus. Ein Zeitstrahl führt in den Hauptbereich der Ausstellung: Dort befindet sich eine interaktive, digitale Karte, über die sich 90 Orte mit postkolonialen Bezügen in Westfalen abrufen lassen, darunter Gebäude, Straßen und Museen. Von hier aus erreichen die Gäste die vier Ausstellungsbereiche, in denen Objekte und rund 50 Kurzbiografien die Verflechtungen zwischen Westfalen und den kolonialen Welten veranschaulichen.

Die Figur als Markenzeichen von Sarotti entstand 1922 und wurde, nicht zuletzt durch Fernsehspots, in den 1960er Jahren populär. Kritik an der stereotypen und rassistischen Darstellung des schwarzen Dieners führte dazu, dass die Figur 2004 vom „Sarotti- Magier“ abgelöst wurde.
Foto: LWL

Handel, Wirtschaft und Industrie
Handel, Wirtschaft und Industrie profitierten bereits vor der Kolonialzeit vom weltweiten Warenaustausch. Produkte aus fernen Ländern wurden als „Kolonialwaren“ verkauft, importierte Rohstoffe hierzulande weiterverarbeitet. Verpackungen und zeitgenössische Werbung für Tabak, Kaffee und Kakao zeigen in der Ausstellung beispielhaft, wie die Produkte beworben wurden.

Mit der kolonialen Eroberung der Welt eröffneten sich auch neue Absatzmärkte für die westfälische Industrie. Die hiesige Eisen- und Stahlindustrie erhielt Aufträge für koloniale Großprojekte wie den Bau von Eisenbahnen und Hafenanlagen. Die in den Zechen des Ruhrgebiets geförderte Kohle befeuerte koloniale Unternehmungen.

Auch personell gab es Verflechtungen. So war Emil Kirdorf, Generaldirektor der Zeche Zollern, ein überzeugter Verfechter kolonialer Ideen. Und Adolf von Hansemann vom Vorstand der Zechengesellschaft GBAG engagierte sich als Gründer und Teilhaber von Plantagengesellschaften in der Südsee.

Forschung, Mission, Auswanderung
Die Erkundung und wissenschaftliche „Erforschung“ der Welt, aber auch die Missionierung schafften die Voraussetzung für die koloniale Expansion. Objekte wie Karten, Spendendosen, gesammelte Naturmaterialien und „Souvenirs“ aus den Kolonien werden kritisch beleuchtet und in den Kontext der Ausstellung gesetzt. Missionsgesellschaften wie die Bethel-Mission aus dem heutigen Bielefeld und die Rheinische Mission aus Barmen wirkten nicht nur in den Kolonien, sondern auch nach Westfalen hinein. Nach Inbesitznahme bewarb das Deutsche Reich die Kolonien als Siedlungsraum für Auswanderungswillige. Kuratorin Dr. Barbara Frey: „Berichte, Bilder und das Gedankengut, das Deutsche aus den Kolonien zurück nach Hause trugen, bestimmen bis heute unsere Vorstellungen von Menschen im Globalen Süden.“

Alltag, Propaganda, Kontinuitäten
Der Kolonialismus war auch für die Menschen in Westfalen Teil ihres Alltags. Nicht nur beim Einkauf und Konsum von Kolonialwaren kamen sie in den Genuss seiner Vorteile, auch in der Schule und bei der Freizeitgestaltung war der „koloniale Gedanke“ stets gegenwärtig.

Menschen in Westfalen engagierten sich in Kolonialvereinen, besuchten Vorträge und lasen Zeitungsberichte. Völkerkundliche Sammlungen und Völkerschauen vermittelten ein stereotypes Welt- und Menschenbild – zu sehen in der Ausstellung zum Beispiel auf historischen Postkarten. Gesellschaftsspiele, Kinderbücher, Sammelbilder und ein „Kolonial-Kochbuch“ aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zeigen, wie verbreitet der Kolonialismus auch in den heimischen vier Wänden war. Kugler-Mühlhofer: „Auch wenn die Kolonialzeit heute kritisch hinterfragt wird, bilden die damals entstandenen Stereotype ein Fundament für Diskriminierung und Rassismus.“

Widerstand, Gedenken, Postkolonialismus
Der Widerstand indigener Bevölkerungen gegen die Fremdherrschaft der Kolonisatoren mündete in gewaltsame Auseinandersetzungen und Kriege – bis hin zum Völkermord. Anfang des 20. Jahrhunderts führte das Deutsche Reich zwei große Kolonialkriege: gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika (1904-1907), dem heutigen Namibia, und den Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika (1905-1907), heute Tansania. Am Völkermord an den Herero und Nama, der erst seit wenigen Jahren als solcher von Deutschland anerkannt wird, beteiligten sich auch Soldaten aus Westfalen.

Nicht alle Deutschen waren Befürworter der Kolonialpolitik. In der Weimarer Republik entstanden erste Vereinigungen der afrikanischen Diaspora wie der Afrikanische Hilfsverein. In Dortmund und Umgebung führten Arbeitervereine anti-koloniale Veranstaltungen und Solidaritätsbekundungen durch.

„Lange wurde die deutsche Kolonialgeschichte in der Öffentlichkeit verdrängt“, so Kugler-Mühlhofer. „Erst seit einigen Jahren werden die Verbrechen der Kolonialzeit aufgearbeitet.“ BPoC-Communities und zivilgesellschaftliche Gruppen fordern eine aktive Erinnerungskultur und lenken den Blick auf koloniale Kontinuitäten in unserer Gesellschaft. So greift die Ausstellung auch die Diskussion um umstrittene Straßennamen und Denkmäler auf.

In Schubladen verbergen sich diverse Ausgaben der Zeitschrift „Kolonie und Heimat“, die über das Leben in den Kolonien berichtete.
Foto: LWL / Julia Gehrmann

Künstlerische Interventionen
In den vier Ausstellungsbereichen eröffnen die Kunstwerke von Luiza Spotorno, Emeka Bob-Anyeji, Clarisse Akouala, Shavu Nsenga und Stefan Henaku-Grabski, Princela Biyaa und Marny Garcia Mommertz neue Perspektiven und bilden mit ihren persönlichen und emotionalen Beiträgen einen Bezug zu unserer heutigen Gesellschaft.

Im Obergeschoss des Ausstellungsgebäudes finden Besucherinnen und Besucher Aufenthaltsmöglichkeiten, eine Bibliothek, ein Tonstudio und weitere Möglichkeiten, sich mit dem Gesehenen auseinanderzusetzen und Feedback zu geben. In einem eigenen Raum wird die filmische Arbeit „How long is it gonna take?“ gezeigt, erarbeitet von Tina Adomako, Laura Jane Beya, Janinka Chiebuka Okoye, Bernice Lysania Ekoula Akouala, Richard Opoku Agyemang und Phyllis Quartey.

Begleitprogramm
Zum Begleitprogramm der Ausstellung gehören Führungen in verschiedenen Formaten und für verschiedene Zielgruppen, darunter spezielle Angebote für Kinder und Familien, Performances, Artist-Talks, Workshops und Lesungen. Neben öffentlichen Angeboten an festen Terminen können Gruppen Führungen während der Öffnungszeiten buchen. Donnerstags nach 18 Uhr gibt es die Möglichkeit für Gruppen, die Ausstellung mit oder ohne Führung außerhalb der regulären Öffnungszeit zu besuchen.

Alle Termine unter: https://zeche-zollern.lwl.org/dasistkolonial